"Aus schwarzem Wasser" - Der erste Thriller meiner Lieblingsautorin

Eine Geschichte über die Zerstörung des Planeten, die schockierende Realität ist. 

"Er schiebt das Krankenbett mit den fünf Leichen hinter ihr her. [Sie] schaut in jedes Zimmer, das sie passieren. Die wenigen, die noch nicht tot sind, sterben gerade. Oder sie schauen denen, die sterben, beim Sterben zu. Verzweifelte Eltern halten ihre toten Kinder in den Armen. Sie sehen aus wie schlaffe kleine Puppen. Gestern hatten sie noch ein ganzes Leben vor sich." (S. 414)

 

"Sie haben verdient, was gerade passiert. Es ist die gerechte Antwort auf das, was sie getan haben." (S. 539)

 

Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Kapitalismus, Globalisierung und Genozid. Eine Geschichte über die Zerstörung des Planeten, die schockierende Realität ist. Man muss nur zwischen den Zeilen lesen.


Aber erstmal: Worum geht’s? – Inhalt:

Die Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck rast mit ihrem Dienstwagen ungebremst über die Absperrung und ertrinkt im sinkenden Wagen in der Spree - und mit ihr ihre Tochter Maja. Das Unerklärliche: Kurz später wacht Maja in ihrem Leichensack im Krankenhaus wieder auf. Sie flieht, ohne zu wissen vor wem. Sie weiß nur, dass sie niemandem trauen kann – denn das waren die letzten Worte ihrer Mutter, bevor die Luft aus dem Wagen gedrängt wurde. Sie versucht herauszufinden, wie sie überleben konnte und erfährt dabei Unbegreifliches – so auch, warum ihre Mutter ihr nie gesagt hat, wer ihr Vater ist. 

Von der Gegenwart wechselt der Fokus auf das Jahr 2001 und die Forschung von Majas Mutter Dr. Patricia Kohlbeck. Von ihrem Chef Prof. Robert Stein (mit dem sie eine Affäre hat) bekommt sie Gewebeproben aus strenggeheimer Forschung – und entdeckt, was sie nie für möglich gehalten hätte.


 

Meine Meinung:


Hach, Anne Freytag… Ich liebe ihre Bücher und war besonders nach „Nicht weg und nicht da“ total hingerissen! Ihr fast schon poetischer Schreibstil catcht mich einfach immer wieder. Nachdem sie sonst eher für ihre Jugendbücher bekannt war, ist „Aus schwarzem Wasser“ ihr erster Thriller – dem ich entgegengefiebert habe wie kaum einem Buch in diesem Jahr.

Das war dann aber doch ganz, ganz anders, als ich erwartet habe. 

 

Erstmal zum Genre: Eingeordnet ist das Werk ja als Thriller – was ich aber echt spannend und überraschend fand, war, dass es doch eine totale Mischung verschiedener Genres ist. Klar, Blut fließt auch, aber so viel dann doch wieder nicht. Beim Lesen hat es sich für mich total nach einem Drama angefühlt. Außerdem gibt es doch echt so einige Fantasy-/Science-Fiction-Elemente, die hier aber echt gut verbaut sind und sich für mich keineswegs unrealistisch angefühlt haben. Und wie Anne Freytag in ihrer Widmung schon schreibt: Nur ein Teil dieser Geschichte ist Fiktion. 

Zwischen den Zeilen lesen ist also das Stichwort. Die Kritik, die dort vermittelt wird, teile ich vollkommen. Wegen ihr hat mich "Aus schwarzem Wasser" ein bisschen an „Das Meer“ von Wolfgang Fleischhauer erinnert – eines meiner absoluten Jahreshighlights bisher. Damit hat Freytag bei mir also genau ins Schwarze getroffen.

Die Protagonisten konnte ich mir bildlich vorstellen und vor allem Maja und Efrail habe ich total ins Herz geschlossen. Dr. Patricia Kohlbeck war dagegen für mich mal was ganz anderes – kühl und professionell, durch und durch Wissenschaftlerin. Viele Nebenfiguren handeln skrupellos und ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass dadurch das egoistische Handeln der Menschheit widergespiegelt wird.

 

Aber:

10 Sterne sind es für mich nicht. Obwohl der Großteil mich wirklich sehr gefesselt hat, gab es (vor allem gegen Ende) einige Passagen, die sich für mich ein bisschen gezogen haben. Das offene Ende hat mich perplex zurück gelassen und überlässt der Fantasie, wie es jetzt wohl weiter geht – Geschmackssache, klar… 

 

Meine Bewertung:

Ging es nach mir, wäre die Geschichte also wohl auf 500 statt knapp 600 Seiten erzählt worden.

Trotzdem: ich empfehle es weiter und wünsche mir mehr davon! Vor allem die gesellschaftskritische Komponente liebe ich sehr. 

8/10 ⭐

 

 

Meine Lieblings-Zitate:

(unterstrichen = SPOILER) 

"Ich weiß, wer ich bin und wann ich geboren wurde - und das nicht nur, weil es auf meinem Totenschein stand." (S. 25)

"»Da fragen wir uns seit Menschengedenken, ob wir allein sind im Universum, und dann sind wir es vielleicht noch nicht mal auf der Erde.«" (S. 466) 

"»Der Kapitalismus frisst uns alle auf. Wir wollen es nicht wahrhaben, aber es ist so. Dinge können nicht ewig wachsen, tun sie es doch, höhlen sie uns bei lebendigem Leibe aus. […] Sie denken, sie steuern das Geld, aber in Wahrheit steuert es sie. […] Schau dich doch nur mal um. Überbevölkerung, Flüchtlingsströme, Hungersnöte, Krankheiten, soziale Ungerechtigkeit.«" (S.530 f.) 

"Ich sehe wieder zu ihr. Und das erste Wort, das mir bei ihrem Anblick einfällt, ist Ikigai." (S. 71) 

"Und dann denke ich, dass ja vielleicht drei Menschen doch genügen. Dass es reicht, irgendjemandem zu fehlen. Dass das Beweis genug ist, dass man nicht egal war." (S. 273)  

"Ich treibe in ihnen wie auf einem See, als läge ich auf dem Rücken, Arme und Beine von mir gestreckt, und schaue hoch ins Leben - in einen Himmel der aussieht wie Efrails Augen." (S. 533)

 


 „Aus schwarzem Wasser“ ist 2020 im Bold-Verlag erschienen. ISBN: 978-3-423-23019-3

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